15. 05. 2023, 15:52
(13. 05. 2023, 20:53)Jack Lanthyer schrieb: Das ist wirklich gut, daß sich die Bahn um juristischen Beistand bemüht hatte, um den 50-Stündigen Warnstreik der EVG zu stoppen.
Hervorzuheben ist der Absatz in dieser Nachricht:
Zitat:Den Vergleich hatte das Arbeitsgericht in Frankfurt vorgelegt. Die zuständige Richterin hatte mehrfach angedeutet, sie habe Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angekündigten Streiks. Die EVG laufe Gefahr, vor Gericht zu unterliegen, wenn sie dem Vergleich nicht zustimme.Der Warnstreik ist eigentlich dazu da, vor dem Streik zu warnen und sollte zeitlich begrenzt sein, konkret sind 2 Stunden im Spiel, von einem ganzen Tag, oder mehreren Tagen ist nicht die Rede gewesen. Außerdem ist der ausgedehnte Warnstreik unverhältnismäßig.
Ay, etwas viel Halbwissen, oder? Gerade dieses oder letztes Jahr hat man am Beispiel der Flughäfen gesehen, dass Warnstreiks im Umfang von 2 Tagen ebenfalls möglich sind. Genauso ver.di oder die IG-Metall, die für je 24 Stunden die Arbeit niedergelegt haben.
Die Verhältnismäßigkeit/Unverhältnismäßigkeit bezieht sich hier auf den Standpunkt der EVG durch einen 50-stündigen Warnstreik die Forderung nach der Einhaltung des Mindestlohns Nachdruck zu verleihen. Hier gab es wohl unterschiedliche Ansichten, wie die einzelnen Parteien das Angebot zum Mindestlohn interpretiert haben, aber die Standpunkte waren wohl so nah beieinander, dass diese eine solche Arbeitsniederlegung nicht rechtfertigt hätte. Spannend wird es hier noch bei der tatsächlichen Diskussion um die tariflichen Lohnerhöhungen.
Eine Nullrunde in 2023 für die Lohntabellen wird schätzungsweise nicht von der EVG akzeptiert werden. Gerade in Zeiten von Personalmangel wird sich damit kaum jemand für die Bahn gewinnen lassen und gleichzeitig muss sie nach den schwachen wahrgenommenen Abschlüssen aus 2021 aus Sicht vieler Bahner liefern. Da ist eine Einigung im Rahmen der aktuell gebotenen "8-10%" ab März 2024 mit einer Laufzeit von 28 Monaten in sehr weiter Ferne (bis dahin und unter Berücksichtigung der mittleren Inflation würde damit ein Reallohnverlust - und damit eine noch weiter abnehmende Attraktivität der Bahn als Arbeitgeber einhergehen).
(13. 05. 2023, 20:53)Jack Lanthyer schrieb: Sollte das hier so ein Argument sein:Geht es wirklich um neue Mitglieder? Oder geht es darum, dass die Gewerkschaften Zulauf haben, weil sich Mitarbeitende, denen Gewerkschaften sonst egal sind, hier ihre (berechtigten) Interessen vertreten sehen? (Wenn ihnen die Sache nicht wichtig wäre, könnten diese ja auch für 14€/Stunde zu Aldi/Lidl wechseln und müssten weder sonntags, noch nachts und auch nicht bei Wind und Wetter mehr verdienen für dieselbe Leistung).
Zitat:Zudem dürfte sie auch zum Ziel haben, in diesen Lohngruppen beziehungsweise diesen Branchen durch ihren Einsatz neue Mitglieder zu gewinnen.Dann hat das Ganze nichts mehr mit der Rechtmäßigkeit des Streiks zu tun. Jede Gewerkschaft sollte mit den Arbeitgebern ganz normal über das Eigentliche Thema verhandeln nur um dieses Thema sollte es eigentlich auch gehen. Mitglieder wegen so was zu gewinnen, ist zweitrangig. Wichtiger ist es, daß beide Seiten über die Lohnerhöhungen sprechen sollen und nur um das geht es. Beide Seiten sollten auch immer darauf achten, daß das Angebot (Arbeitgeber) und die Forderung (Gewerkschaft) annähernd deckungsgleich sind, wenn auch die Kompromisse unvermeidbar sind. Dennoch halte ich die Laufzeit, den die Bahn in Spiel gebracht hatte, für sehr wichtig. Die Laufzeitlänge soll die Streikhäufigkeit, den die Gewerkschaften es gerne hätten, reduzieren.
Die auf die Bahn und aber auch auf die Busse angewiesene Fahrgäste wollen die Verkehrsmittel nutzen und nicht wegen dem (dämlichen) Streik anderweitig nach Alternativen suchen. Daß Parallelstreiks rechtmäßig ist, habe ich da meine Zweifel. Denn die Parallelstreiks schränkt den unbeteiligten Dritten, die öffentlichen Verkehrsmitteln zu nutzen noch mehr ein, als wenn nur eine Gewerkschaft das tun würde.
Insbesondere beim EVG sind die Streiks in meinen Augen eine recht heikle Angelegenheit, das unbedingt eine Regelung getroffen werden sollte, wie der Streik ablaufen sollte. Wie beim GDL, sollte beim EVG-Streik ein Grundangebot gewährleistet werden, um die Auswirkungen auf die unbeteiligte Dritte - insbesondere die Arbeitnehmer, als Pendler - so gering, wie möglich zu halten.
Übrigens: Das gleiche gilt auch für Ver.di. Die Ver.di hat nicht das Recht, wegen des Streiks den gesamten Verkehr einzustellen. Auch für sie gilt die gleiche Pflichten, wie auch bei GDL: Aufrechterhaltung des Grundangebots während des Streiks.
Und nein, es geht nicht nur um den Lohn, sondern auch über Arbeitsbedingungen Tarifverhandlungen sind deswegen äußerst komplex, auch wenn man sie gerne auf die Kernforderung (Lohnerhöhung) runterbricht.
Ebenso muss ich dir beim Thema Laufzeitlänge widersprechen. Gerade aufgrund der Volatilität in der Wirtschaft sollte die Laufzeit mit Maß und Mitte bestimmt werden. Keiner weiß, wie stark/schwach die Inflation in einem Jahr aussehen wird. Geht man vom aktuellen Verhalten aus, wird man nochmal 7-8% drauf rechnen müssen, fällt sie schwächer aus, kann die Lohnsteigerung entsprechend adjustiert werden.
Auch deinen Standpunkt mit der fehlenden Verhältnismäßigkeit von "parallelen" Streiks kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wenn es unverhältnismäßig gewesen wäre, wäre dies dann nicht auch rechtlich geprüft worden? Soweit ich mich erinnern kann, wurde seinerzeit nur zum Thema Elbtunnel eine Notvereinbarung getroffen - der ÖP(N)V fällt somit wohl nicht über die allgemeine Daseinsvorsorge (und eine Regierung unter Führung der SPD wird einen Teufel tun und die Rechte der Arbeitnehmenden beschränken).
Im Grundsatz müssen Streiks ja auch irgendwo weh tun, mich nerven sie ja selbst und ShareNow, Miles und Co. sind an diesen Tagen meine besten Freunde. Übrigens - es ist keine EVG, noch eine ver.di, die wegen des Streiks den ganzen Verkehr einstellen. Es sind viel mehr die Verkehrsbetriebe, die mangels Personal kein oder höchstens ein rudimentäres Angebot stellen können und daher vorsorglich den ganzen Betrieb einstellen. (Vorteil für die Arbeitgeber: Warnstreiks haben den schicken Vorteil, dass Zeitguthaben der MA verbrannt wird).
Der Unterschied zwischen GDL und EVG ist an dieser Stelle, dass die Leitstellen, Stellwerke und Betriebszentralen größtenteils EVG-organisiert sind. Bei der GDL ist z.g.T. das fahrende Personal organisiert. Für Letztere lassen sich bisweilen noch schneller "Rumpftruppen" organisieren, um einen Notfallbetrieb zu ermöglichen, was in Sachen Stellwerke und co. nicht der Fall ist. (Zu bemerken ist hier noch, dass wenn ich es richtig verstanden habe, die streikenden Fahrdienstleiter etc. ihre Streiks im Stellwerk abbummeln müssen, da, ähnlich wie Fluglotsen oder die Flughafenfeuerwehr, bestimmte Züge immer durchgeschleust können werden müssen (Energietransporte o.Ä.).
Nicht falsch verstehen, ich hoffe selber inständig, dass beide Parteien hier zueinander finden und schnell eine für beide Seiten tragbare Lösung gefunden wird. Das Problem ist nur, mir fehlt der Glaube daran und ab November schmeißt die GDL dann ihrerseits den Hut in den Ring und wird auf Grundlage des bis dahin hoffentlich geschlossenen Abschlusses versuchen, selbst mehr rauszuholen. (Und wahrscheinlich wird dann die EVG aufgrund einer Offenhaltungsklausel dann auch wieder mitsprechen wollen.)
Wichtig ist es, in solchen Fällen, eine faktenbasierte Meinung zu haben. Es hilft nichts, wenn jetzt ein schneller Tarifabschluss kommt, der zu einem Massenexodus an Mitarbeitern der DB und anderen EVU führt - gleichzeitig hilft es auch nichts, wenn da ewiger Stillstand und ewig viele Streiks kommen.
(15. 05. 2023, 11:43)Sebastian schrieb: Überraschenderweise fahren die S-Bahnen München, Frankfurt, Berlin und Hamburg soweit ich sehen konnte heute Regelverkehr. In Stuttgart war es dagegen nicht mal möglich einen Halbstundentakt zu organisieren. Warum?
Bei Berlin und Hamburg wundert es mich nicht, da sie ja auf eigenen Gleisen und eigenem Netz unterwegs sind und daher schneller umplanen und -disponieren können. Frankfurt hat heute auf S5 und S6 ausgedünnten Verkehr (bzw. Komplettausfall), aber war wie München bei den letzten Streiks trotz Streiktagen dennoch mit einem Rumpfangebot (MUC Stammstrecke, FRA S8/S9 und u.a. auch S1/S2) verplant, sodass Schichten da wahrscheinlich leichter besetzt werden konnten.