(01. 11. 2012, 23:56)noname schrieb: Ist die Änderung des Fahrplans inklusive aller davon abhängigen Anschlüsse wirklich noch ein so großer Aufwand? Im heutigen digitalen Zeitalter werden Fahrpläne doch eh durch Computer bzw spezielle Programme automatisch berechnet, wenn die Abhängigkeiten, Dauer der Halte an Haltestellen usw. korrekt eingepflegt wurden... oder stelle ich mir das jetzt zu einfach vor?
Kurzum: Meiner Meinung nach viel zu einfach. (Aber ja, das Berechnen eines einzelnen Fahrplanes nach vorgegebenen Kriterien geht so natürlich problemlos.)
Hinweis vorab: Ich kenne keine derartigen Programme und deren Funktionalitäten (ich weiß die gibt es aber für Zigtausende Euro), habe aber viel mit Fahrplänen rumgespielt und kann mir als Programmierer auch gut vorstellen, was realistisch machbar ist.
Ich stelle mir die (Basis-)Funktionsweise etwa so vor, wie wenn ich mit zig Excel-Tabellenblättern und Formeln arbeite, aber eben ohne das Risiko, versehentlich Formeln zu ändern oder vergessen zu haben, einzelne Zeiten manuell über die Formeln geschrieben zu haben. Darüber gestülpt ein Regelwerk und einen Algorithmus, der rekursiv Beispiele ausrechnet und verwirft - und dann in einem vorgegebenen Maß Änderungen an den Regeln vornehmen kann.
In einem halbwegs "abgeschlossenen" Bereich - wie z. B. der SSB - lässt sich sowas vielleicht halbwegs in den Griff bekommen (wenn S-Bahn-Fahrplan vorausgesetzt), aber ich führe mal einige der Hauptprobleme auf, die sich bei den S-Bahnen stellen würden:
Fernverkehr: Muss als fix angesehen werden. Man kann für ein lokales Modell (S-Bahn Stgt.) nicht noch berücksichtigen, was Änderungen am Fernverkehr bundesweit zur Folge haben. Selbst wenn es vereinzelt Ausweichmöglichkeiten gäbe, muss man diese in separaten Modellen rechnen.
Regionalverkehr: Wird schwieriger - wird man teilweise fix wie Fernverkehr und teilweise variabel wie S-Bahnen betrachten müssen.
S-Bahnen: Ein Fahrplan kann auch daran scheitern, dass nicht genügend Züge vorhanden sind - für eine Komplettanalyse müssen Leerfahrten, Abstellmöglichkeiten und Zuglänge (Kurz-, Voll- und Langzüge) und Zugtypen (420/423/430) berücksichtigt werden. Bei der S6/S60 das Flügeln und anschließende Kuppeln an einen anderen Zug.
Optimalerweise muss sichergestellt werden, dass Pläne für Zugführer und -begleiter und die Berücksichtigung derer Pausenregelungen (also örtliche und zeitliche Verfügbarkeit) überhaupt möglich sind.
Grundsätzlich weniger relevant:
Im Allgemeinen muss davon ausgegangen werden, dass Abhängigkeiten mit anderen Fahrplänen/anderen Unternehmen in späteren Schritten irgendwie passend hinbekommt. (Dennoch ein paar Beispiele: Einzelne Bus-Fahrten müssen teilweise an Schulzeiten oder Schichtarbeitszeiten orientiert sein - hier sollten noch Anschlüsse zu S-Bahnen möglich sein. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Gelenkbussen und "normalen" Bussen inkl. der von ihnen benutzbaren Strecken muss ggf. berücksichtigt werden, wenn es um umfangreiche Umstellungen geht.)
Unabhängig davon sind viele Sachzwänge vordefiniert. Eingleisige Strecken wurden teilweise verkürzt, um beim aktuellen Fahrplan von Nutzen zu sein oder eine kürzere Taktung zu ermöglichen. Verschiebt man diesen um wenige Minuten, hat man entweder die gleiche Instabilität wie vorher oder es geht schlichtweg nicht oder (eher selten) man hätte die Erweiterung nicht benötigt. All diese Sachzwänge kann man jedoch mit festen Faktoren/Regeln in den Griff bekommen (Eingleisigkeit/Mindestwendezeit/Maximale Haltezeit für Station X).
Das eigentliche Hauptproblem ist die Gewichtung:
Eine neutrale Gewichtung aller Umsteigeverbindungen ebenso wie bei anderen Abhängigkeiten und Faktoren (z. B. Fahrplanstabilität) wird man nie einvernehmlich treffen können. (Hilfreich wären dafür unter anderem Daten über Fahrgastströme für sämtliche Umsteigebeziehungen.)
In der Folge wird kein Computer ein "einziges sinnvolles Ergebnis" liefern können sondern lediglich als Entscheidungshilfe oder eben für ein schnelleres Berechnen gut sein bzw. eben die Punkte aufzeigen, an denen es hakt.
Da es in der Regel keinen Plan geben wird, der alle Kriterien erfüllt (man wird ja erst mal alles wollen), muss man sich dann bewusst dafür entscheiden, an einzelnen Stellen Nachteile zu akzeptieren (also gewisse Faktoren hochzusetzen). Man fängt also an, an den Variablen rumzuspielen, bis man etwas halbwegs Geeignetes herausbekommt. Man kann dafür zwar auch Regeln aufstellen - diese würden aber nach der Gewichtung vorgehen, welche ja nie objektiv sein kann - daher wird man letztlich hier sowieso Hand anlegen müssen.
Beispiel-Problem: Ist es besser, sechs statt vier Minuten Umsteigezeit in Bad Cannstatt zu haben oder acht statt null Minuten Aufenthalt in Malmsheim? (Zunächst hatte man vorgegeben, dass beides nicht möglich ist, z. B. durch Umsteigezeit in Bad Cannstatt < 5 Minuten und max. Aufenthalt allgemein < 5 Minuten.) Wer bewertet die entsprechenden Faktoren wie?
Ich würde also sagen:
Ja, man kann durch technische Hilfsmittel viel schneller verschiedene Szenarien betrachten oder von vornherein durch Konfliktpunkte ausschließen - aber das eigentilche Problem wird sein, dass es immer Konfliktpunkte geben wird, die darin enden, dass ein Szenario nur ermöglichen kann, indem man punktuell Regeln schwächt.
Also im Umkehrschluß dasselbe, wie wenn man es von Hand macht - nur eben schneller.
A) Ein derartiges Computerprogramm wird keine Lösungen finden, die es einfach nicht gibt.
B) Es besteht lediglich eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass eine Lösung gefunden wird, an die noch keiner gedacht hat.
Zu A): Bei allen Vorschlägen zur Optimierung von S-Bahn-Plänen, die wir hier im Forum durchgerechnet hatten, war das Ergebnis aber eigentlich immer, dass es wegen "x" und/oder "y" nicht geht.
Zu B): Nur selten wurde das Problem komplexer, so dass wir es nicht zu Ende gerechnet haben. Meistens war es eher so, dass doch noch jemand einen Haken "z" gefunden hatte.